In De docta ignorantia bekennt sich Nikolaus zur neuplatonischen, besonders von Pseudo-Dionysius betonten negativen Theologie, die alle positiven Aussagen über Gott als unzulänglich und insofern irreführend verwirft. Er wendet sich Gott nicht zu, indem er Wissen über ihn für sich beansprucht, sondern indem er Wissen über sein eigenes Nichtwissen erlangt und damit eine über sich selbst ‚Äûbelehrte Unwissenheit„ (docta ignorantia).[25]Seiner Terminologie zufolge ist der menschliche Verstand (ratio) die Kraft, welche die Sinneseindrücke ordnet und unter vereinheitlichende Begriffe bringt. Dies geschieht durch Unterscheidung zwischen ihnen, indem der Verstand einschließt und ausschließt und damit auch negiert, wozu die Sinne nicht imstande sind. Der Verstand kann dies, indem er das Unendliche aus seiner Betrachtung fernhält. Alles verstandesmäßige Wissen beruht auf Vergleichen und ist somit auf Relatives bezogen. Daher kann der menschliche Verstand etwas Absolutes wie das Maximum oder das Unendliche nicht erfassen, für ihn besteht zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen keine Proportion. Der Mensch verfügt jedoch noch über eine weitere Fähigkeit, die Vernunft (intellectus), die weit über dem Verstand steht. Sie ist in der Lage, das unterscheidende Negieren des Verstandes zu negieren und damit zum Begriff der Unendlichkeit und unendlichen Einheit zu gelangen. Dieser ist ein Vernunftinhalt und als solcher jenseits des der Verstandestätigkeit Zugänglichen.[26]Die Vernunft ist zwar endlich und kann daher nach De docta ignorantia ebenso wie der Verstand die Widersprüche nicht übersteigen und die Koinzidenz nicht erreichen; da sie aber zugleich ‚Äûetwas Göttliches„ ist, kann sie die göttliche Wahrheit gleichsam ‚Äûsehen„ und ‚Äûberühren„. Später, in De coniecturis (um 1442) und den im Zeitraum 1445‚Äì1447 verfassten kleinen Schriften, gelangt Nikolaus zu einer optimistischeren Einschätzung der Möglichkeiten der Vernunft. Nun traut er ihr zu, gegen den Widerstand des Verstandes die Widersprüche zu überwinden und damit paradoxe Einsichten zu erlangen, etwa das Größte mit dem Kleinsten gleichzusetzen. Darüber hinaus nimmt er nun die Möglichkeit eines ‚Äûgöttlichen„ Denkens des Menschen an, das nicht mehr im Sinne der negativen Theologie die Verneinung als wahrere Ansicht der Bejahung vorziehe. Auch der Gegensatz von Affirmation und Negation wird im Sinne der Koinzidenzidee transzendiert.